Vom Umgang mit Angst

Noch vor 14 Tagen war ich im Cafe und habe danach einen gemütlichen Bummel durch die Geschäfte gemacht, im Buchladen gestöbert und war danach noch was essen. Das, was für mich immer so meine kleine Auszeit vom Arbeitsalltag war scheint mir inzwischen so weit weg … wie aus einer anderen Welt. Unfassbar, wie schnell plötzlich alles anders sein kann. Plötzlich sind öffentliche Einrichtungen, Schulen, Kitas etc. geschlossen. In Supermärkten sieht man leere Regale. Man praktiziert social distancing. Plötzlich sind da riesengroße Veränderungen – für alle. Veränderungen, die man erstmal realisieren muss. Und mit denen jeder dann für sich irgendwie umgehen muss. Die unsichere Situation macht vielen Menschen Angst.

In den letzten Tagen habe ich schlecht geschlafen und bin morgens mit einem Stein im Magen aufgewacht. Große Veränderungen haben mir schon immer Angst gemacht. Plötzlich hat man das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, das Gefühl, keinen Halt zu haben, keine Sicherheit. Ich habe seit 20 Jahren eine Angsterkrankung und es sind die großen Veränderungen/ungewisse Situationen, die meine Angstzustände immer sehr triggern. Gerade in der letzten Woche hatte ich wieder einige Tage mit starken Angstzuständen, besonders nachts, wenn keinerlei Ablenkung verfügbar war, haben sie mich wieder richtig sehr erwischt. Inzwischen bin ich wieder ruhiger geworden. Ich habe mich erinnert, dass ich dieses starke Angstgefühl eigentlich aus anderen Situationen schon kenne. Ich hatte es oft in meinem Leben, ganz besonders in den letzten Jahren, in denen ich mehrere persönliche Lebenskrisen durchgemacht habe – und auch sonst immer bei großen Veränderungen. Aber: man ist den Angstzuständen nicht hilflos ausgeliefert. Ich habe für mich einige Dinge gefunden, die mir im akuten Angst-/Panikfall oft helfen:

  • Ablenkung – ein Buch lesen, Musik hören, Podcasts oder Hörbücher hören, Filme/Serien schauen, Malen, Handarbeiten, Kochen, Backen, Sport machen, Fotos bearbeiten … alles, was Spaß macht und die gesamte Konzentration erfordert und nichts mit dem angsttriggernden Thema zu tun hat, ist hilfreich, weil dann gar keine Zeit für Angstgedanken bleibt
  • mit anderen sprechen – ebenfalls sehr hilfreich, sofern man nicht die ganze Zeit über die Angst und negative Dinge spricht (ich habe bei mir sehr oft erlebt, dass das Sprechen über die Angst diese dann auch aufrecht erhält). Natürlich sollte man über seine Sorgen und Ängste sprechen – sich dann aber möglichst auch wieder anderen Dingen zuwenden.
  • Rituale – z. B. eine bestimmte Morgenroutine
  • Tanzen – Musik kann die Stimmung sehr verbessern und die Angst verschwinden lassen, beim Tanzen baut man die Stresshormone ab, die sich durch die Angst aufgebaut haben und es werden Glückshormone ausgeschüttet. Am liebsten mag ich da die Videos von The Fitness Marshall … sie haben mir in Angstphasen schon sehr oft geholfen https://www.youtube.com/watch?v=IzCDZJ-YmSQ
  • jegliche andere Bewegung wie Spazierengehen, Laufen gehen oder Workouts zu Hause
  • sich an schöne Dinge erinnern und versuchen, die Gefühle, die man dabei hatte, zurückzuholen
  • die Angst zulassen und akzeptieren – das klingt einfach, finde ich persönlich allerdings am schwersten … ich neige oft dazu, gegen die Panik anzukämpfen. Weil ich dieses Gefühl während einer Panikattacke so schlimm finde. Aber: wenn man dagegen ankämpft, wird es nur schlimmer. Wenn ich momentan also nachts mit einer Panikattacke wach werde und in Katastrophengedanken versinke, darüber nachgrüble, wie dies und jenes funktionieren soll, wohin das führen soll, wenn die Leute weiterhin durchdrehen und Hamsterkäufe tätigen und mir dazu noch sonstige Horrorszenarien ausmale (es ist nicht immer hilfreich, viel Phantasie zu haben) versuche ich, die rasenden Gedanken einfach sein zu lassen und mir zu sagen, ok, das ist jetzt nur die Angst, die kenne ich schon – und sie geht auch wieder weg. Genauso versuche ich das zu machen, wenn ich tagsüber Angstsymptome habe. Ich versuche das Herzrasen und das flaue Gefühl im Magen nicht sonderlich zu beachten, sondern mich auf andere Dinge zu konzentrieren.
  • den Medienkonsum einschränken – ich habe mich von den ganzen Horrormeldungen in den letzten Tagen wieder mal ordentlich verrückt machen lassen – ich werde mich in der nächsten Zeit also nur noch max. 2 Mal am Tag informieren.
  • jemandem helfen, der Hilfe benötigt
  • positive Affirmationen und aufbauende Bücher
  • Meditieren
  • Atmen – ich finde die tiefe Bauchatmung sehr hilfreich
  • sich die Dinge vor Augen halten, die momentan schön und trotz der momentan schwierigen Situation positiv sind
  • sich vor Augen halten, dass diese Situation nicht für immer anhalten wird
  • sich vor Augen halten, was man im Leben schon alles an schwierigen Situationen gemeistert hat

All diese Dinge helfen mir oft in akuten Angstsituationen und auch im momentanen Zustand der Unsicherheit. Manchmal helfen sie aber auch nicht. Gestern Abend hatte ich so einen Moment … plötzlich war mir alles zuviel … die Sorge um meine Eltern, die einige Hundert Kilometer weit weg wohnen und die ich gerade nicht besuchen kann und denen ich im schlimmsten Fall nur von hier aus versuchen kann zu helfen, das Vermissen meiner liebsten Menschen, das Vermissen eines meiner Lieblingsorte und die Angst vor dem, wie alles weitergeht … ich habe geweint, geweint, geweint. Aber das ist ok. Es ist ok, Angst zu haben, es ist ok, sich von der aktuellen Situation überfordert zu fühlen und zu weinen … die Gefühle herauszulassen. Heute geht es mir wieder besser. Es ist alles gerade schwierig. Aber es wird auch wieder besser werden. Es werden sich Lösungen finden, an die man im Moment vielleicht noch gar nicht denkt. Darauf vertraue ich. Es wird ja immer gesagt, dass uns diese Sache länger beschäftigen wird. Das klingt erstmal erschreckend. Ich bin trotzdem davon überzeugt, dass wir das schaffen. Ganz bestimmt werden wir zwischendurch oft stolpern und auch hinfallen. Aber: wir werden auch wieder aufstehen und weitergehen.

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